Antwort der Initiative Demokratische Ukraine auf Fritz Pleitgen

11.09.2014
Politische Offensive nicht über, sondern MIT der Ukraine starten!
Eine Antwort auf Fritz Pleitgen: „Waffenruhe ist die erste Politikerpflicht“ // Kölner Stadt-Anzeiger 5. September 2014, S. 4

Vor einer Woche plädierte Fritz Pleitgen im Kölner Stadt-Anzeiger für eine neue politische Offensive gegenüber Moskau und gegen eine Scherbenhaufen-Option von Sanktions- und Gegensanktionsspiralen. Ein Flugblatt sei ihm vor dem Bahnhof in die Hand gedrückt worden, dass die aggressive Politik Putins und Russlands gegenüber der Ukraine angeklagt habe.
Das Flugblatt stammte von uns. Wir verteilten es auf dem Kölner Bahnhofsvorplatz am 1. September, 75 Jahre nach dem Überfall Deutschlands auf Polen, 75 Jahre nach dem Hitler-Stalin-Pakt. Es enthielt die Passage: „Zwar ist der Glaube an den guten Willen Putins bei vielen Verantwortlichen immer noch nicht verschwunden. Doch nach derart dreisten Lügen darf sich kein ernstzunehmender Politiker mehr vormachen, dass der Präsident Russlands wirklich an einer Deeskalation interessiert ist.“
Fritz Pleitgen sucht den guten Willen Putins, und wir und viele andere haben ihn auch immer wieder gesucht. Doch dieser aus der Verzweiflung geborene Wunsch, das Gute im Kreml eines Wladimir Putin zu sehen, führt zu Argumentationen, die wir ganz und gar nicht teilen können:

Da ist zunächst das schon so oft gebrachte Argument, die EU habe die Ukraine-Verhandlungen (über ein Assoziierungsabkommen) betrieben, als handele es sich um einen Staat wie Island. Dies ginge aber ganz und gar nicht im Fall der Ukraine. Die EU führte diese Verhandlungen aber mit der Regierung des früheren ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch, mit dem die Verträge unterschriftsreif vorbereitet wurden. Moskau war darüber im Bilde. Über die Proteste auf dem Majdan brauchte sich der durch und durch korrupte Janukowytsch angesichts des plötzlichen Abbruchs der Verhandlungen nicht zu wundern. Dass Fritz Pleitgen die EU kritisiert, nicht aber die damalige ukrainische Regierung, zeigt, dass er die Ukraine nicht als eigenständigen politischen Akteur ernst nimmt. Das tut auch Moskau nicht und zeigt, wie schwierig es ist, das Denken in den Kategorien des Kalten Krieges und das noch ältere imperiale Denken in Einflusszonen und Interessensphären zu überwinden. Wir glauben, dass die Ukraine (wie auch Georgien und Moldowa) ein Recht auf politische Souveränität hat, und dass ihr Wunsch nach mehr bürgerlicher Freiheit und Demokratie langfristig den Frieden im neuen Europa stabilisiert – und nicht eine Waffenruhe von Putins Gnaden. Immer fragt man sich angesichts der europäischen und deutschen Ukrainepolitik, was Moskau darüber denkt. Nie fragt man sich umgekehrt hinsichtlich der Russlandpolitik, was wohl Kiew darüber denkt. So wie Polen von den Teilungen Ende des 18. Jahrhunderts bis 1989/91 eher zum Objekt als politischem Subjekt der europäischen Großmächte gemacht wurde, so wird der Ukraine bis heute das Recht auf politische Selbstbestimmung abgestritten.

Das Geschichtsbild Fritz Pleitgens weist so bedenkliche Schlagseiten auf. Die mentalen Folgen wiederholter Invasionserfahrungen seit dem Mittelalter werden für Russland verständnisvoll vorgetragen. Doch wurden denn die Ukraine und die Belarus nicht auch und sogar häufiger verwüstet? Warum annektieren sie nicht aus einem antiwestlichen Misstrauen heraus Gebiete eines Nachbarlandes, wie Pleitgen es für Russland annimmt? Und warum erwähnt Fritz Pleitgen nicht, dass Russland im 18. Jahrhundert nicht nur mit militärischen Mitteln ein Neurussland schuf, sondern gleichzeitig das ukrainische Hetmanat und das autonome Kosakengebiet zerstörte; dass Sowjetrussland 1917/18 militärisch in die Ukraine einfiel (es gründete eine ukrainische Sowjetrepublik von Moskaus Gnaden), dass 2014 die Gewalt Russlands gegenüber seinem Nachbarn in keiner guten Tradition steht?

Zum Ende seines Artikels schreibt Fritz Pleitgen, dass sich die zerstrittenen vier Siegermächte über das nationalsozialistische Deutschland in der Zeit des Kalten Krieges zusammen setzten und das Leben in der geteilten Stadt Berlin wieder erträglich wurde, weil die Kriegsgefahr gebannt war. Wir sagen: Gute Nacht, wenn solch eine „Lösung“ zwischen dem „Westen“ und Russland für die Ukraine vereinbart wird. Denn merke: Die Ukraine hat keinen Angriffskrieg gegen die Nachbarn gestartet! Es hat seine Atomwaffen gegen das Versprechen der Achtung seiner territorialen Integrität nach 1991 an Russland abgegeben und verfügt über keine funktionsfähige Armee. Wir wissen, dass es einen Frieden in der Ukraine nicht ohne Moskau geben kann. Leider! Vor allem aber gilt: Es kann in der Ukraine keinen Frieden ohne die Ukraine geben!
Fritz Pleitgen schlägt das Aushandeln einer Art neuer KSZE-Schlussakte von 1975 vor, die die Integrität und Souveränität der Ukraine sicherstellen soll. Aber Moskau hat ja seit 1991 schon Erklärungen und Verträge über die Souveränität der Ukraine einschließlich der Krim unterzeichnet. Dennoch hat der Kreml diese Souveränität 2014 verletzt. Wir brauchen keine neue Schlussakte, sondern ein Einhalten von gemeinsam geschlossenen Verträgen.

Genauso wie die Russen 1991 haben sich 2004 und jetzt erneut die Ukrainer für einen demokratischen Neubeginn entschieden. Das wird angesichts der dort weit verbreiteten Korruption ein weiter Weg bis zur Verwirklichung werden. Doch die Ukraine macht sich auf den Weg in ein neues Europa, die russische Opposition schaut neidisch zu und die EU sollte eine neue politische Offensive nicht über, sondern mit der Ukraine starten. Sonst wenden sich die Ukrainer von der EU wieder weg und statt Frieden und Freiheit drohen Europa Gewalt und Krieg.

Initiative Demokratische Ukraine, Köln
Guido Hausmann, Diana Siebert, Vera Ammer, Tamara Kolisnichenko, Thomas Ammer, Waleria Radziowska-Hahn, Felix Riefer und andere

Der Zeitungsartikel von Fritz Pleitgen ist leider im www nicht verfügbar. (Stand 13.09.2014)